
Deutschland steht beim klimafreundlichen Umbau seines Gebäudebestands vor einer großen Aufgabe. Jahrzehntelang stagnierte und verringerte sich gar die Sanierungsquote – nicht zuletzt wegen hoher Kosten, langer Planungsphasen und fehlender Fachkräfte. Die sogenannte serielle Sanierung will hier einen grundlegenden Paradigmenwechsel einleiten: Anders als bei der klassischen Sanierung, bei der jedes Projekt individuell geplant und vor Ort aufwendig umgesetzt wird, verlagert die serielle Herangehensweise große Teile der Arbeit in die Produktionshalle. Industriell vorgefertigte Dach-, Fassaden- und Technikmodule werden passgenau auf das jeweilige Gebäude zugeschnitten und in kurzer Zeit vor Ort montiert. Sehr hohe Anteile (bis zu 50 Prozent und mehr) der Bauleistung erfolgen im Werk – das spart Zeit, Geld und Ressourcen.
Die Grundlage dafür liefert das „Energiesprong“-Modell aus den Niederlanden, das von der Deutschen Energie-Agentur (dena) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums auf den deutschen Markt übertragen wird. Ziel ist ein klimaneutraler Gebäudestandard, der sogenannte NetZero-Standard, bei dem Gebäude so viel regenerative Energie erzeugen, wie sie verbrauchen – und das wirtschaftlich, schnell und in hoher Qualität.
Mehr Tempo, weniger Kosten – die Vorteile auf einen Blick
Die serielle Sanierung bringt eine ganze Reihe an Vorteilen mit sich, die sowohl Bauherren, Wohnungswirtschaft als auch Bewohnerinnen und Bewohner überzeugen können. Der wohl sichtbarste Effekt ist die Zeitersparnis: Statt monatelanger Baustellenzeiten kann eine serielle Sanierung in wenigen Wochen abgeschlossen sein. Das ermöglicht nicht nur eine bessere Planbarkeit, sondern hilft auch, mit knappen Fachressourcen deutlich mehr Gebäude zu modernisieren. Auch in Sachen Kosten punktet das Modell: Zwar sind die Anfangskosten für die Vorfertigung etwas höher, doch durch Skalierungseffekte und standardisierte Abläufe lassen sich mittelfristig Einsparungen von bis zu 30 bis 40 Prozent erzielen – dies zeigen Erfahrungen aus den Niederlanden und Großbritannien. In Deutschland wurden bereits Reduktionen von rund 20 Prozent erreicht.
Darüber hinaus garantiert die industrielle Vorfertigung eine konstant hohe Ausführungsqualität – unabhängig von Wetter und Baustellenbedingungen. Für Bewohner bedeuten die kurzen Bauzeiten weniger Lärm, Schmutz und Einschränkungen. In vielen Fällen kann sogar auf einen Auszug während der Sanierung verzichtet werden. Besonders wichtig ist der Beitrag zum Klimaschutz: Erste Pilotprojekte belegen, dass mit serieller Sanierung Energieeinsparungen von bis zu 90 Prozent möglich sind. Würde das Modell flächendeckend umgesetzt, könnten jährlich viele Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden. Auch das Problem des Fachkräftemangels wird entschärft – durch den höheren Output pro eingesetztem Mitarbeitenden.
Vom Laserscan zum fertigen Modul: So funktioniert die Umsetzung
Serielle Sanierung ist kein spontaner Kraftakt, sondern ein präzise geplanter und standardisierter Prozess, bei dem digitale Werkzeuge eine zentrale Rolle spielen. Alles beginnt zum Beispiel mit einem 3D-Laserscan des Gebäudes – ergänzt durch Drohnenaufnahmen. Daraus entsteht ein millimetergenauer digitaler Zwilling des Gebäudes, ein sogenanntes BIM-Modell (Building Information Modeling). Auf dieser digitalen Grundlage werden dann die Sanierungsmodule entwickelt – individuell angepasst, aber im standardisierten Verfahren.
Geeignet sind vor allem gleichförmige Gebäude wie Reihenhäuser, Doppelhaushälften oder mehrgeschossige Wohnblöcke aus der Nachkriegszeit, vor allem aus den 1950er bis 1970er Jahren. Diese Gebäude verbrauchen häufig über 130 kWh/m² im Jahr und bieten damit hohes Einsparpotenzial. Weniger geeignet sind komplexe Baukörper mit vielen Vorsprüngen oder Sonderformen.
In der Praxis umfasst eine serielle Sanierung verschiedene Maßnahmen: Die serielle Dacherneuerung bringt oft direkt eine neue Dämmung und Photovoltaik-Anlage mit. Die Fassade wird mit komplett vormontierten Modulen inklusive Fenstern und Leitungen verkleidet. Technikeinheiten – häufig Luft-Wasser-Wärmepumpen – kommen als Plug-and-Play-Lösung vorgefertigt aufs Grundstück. Auch Aufstockungen, Balkonanbauten oder Grundrissveränderungen sind möglich. Nach der Montage kann ein digitales Monitoring Aufschluss über die erzielten Effekte geben – und weitere Optimierungen unterstützen.
Förderprogramme und Finanzierung: Die serielle Sanierung wird bezahlbar
Um die serielle Sanierung für Investoren und Eigentümer attraktiver zu machen, stehen verschiedene Förderinstrumente zur Verfügung. Besonders hervorzuheben ist der sogenannte „SerSan-Bonus“ im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG). Wer seine Immobilie durch serielle Maßnahmen mindestens auf den Effizienzhausstandard 40 oder 55 bringt, kann 15 Prozent der Investitionskosten als Tilgungszuschuss erhalten – und dies zusätzlich zu anderen Boni, etwa für besonders ineffiziente Bestandsgebäude oder den Einsatz erneuerbarer Energien. Insgesamt sind Förderungen von bis zu 20 Prozent möglich. Der förderfähige Kostenrahmen liegt bei bis zu 150.000 Euro pro Wohneinheit. Eine qualifizierte Baubegleitung durch Energieeffizienz-Experten ist dabei verpflichtend und wird ebenfalls bezuschusst.
Doch auch jenseits direkter Förderungen bietet das Modell interessante Refinanzierungsmöglichkeiten: Die erheblichen Energieeinsparungen senken die Betriebskosten dauerhaft – Mieter werden so kaum zusätzlich belastet, selbst wenn die Modernisierungsumlage greift. Aufstockungen schaffen neue Wohnfläche und ermöglichen zusätzliche Mieteinnahmen. Mieterstrommodelle bieten günstige Energie für Bewohner und eine stabile Refinanzierung für Eigentümer. Alles in allem entsteht ein wirtschaftlich tragfähiges Modell, das Klima- und Wohnpolitik vereint. Die serielle Sanierung ist damit nicht nur eine bautechnische Innovation – sondern ein strategisches Werkzeug für den klimaneutralen Gebäudebestand von morgen.